Nach ein klein bisschen suchen, habe ich ihn gefunden: meinen perfekten Wild-Camping Spot für die erste „wilde“ Nacht im finnischen Lappland. Er liegt an einer kleinen Seitenstraße der einzig großen Straße hier, der E75, die ab Rovaniemi immer weiter nach Norden führt, bis sie, nur noch circa 60 Kilometer vom Arktischen Ozean entfernt, die Grenze nach Norwegen überquert.
Ich stehe zwar mitten im Wald, aber an dieser Stelle ist er nicht besonders dicht und führt, nur wenige Meter von der Straße entfernt, auf eine kleine Lichtung mit größerem Tümpel. Hier habe ich meinen Campingstuhl aufgebaut und hier esse ich kurze Zeit später Bratkartoffeln mit Gemüse mit herrlicher Sicht auf diese Wiese mitten im Nirgendwo. Als dann noch zwei Rentiere auftauchen und entspannt über die Wiese laufen und an Büschen und Gräsern knabbern, ist das Idyll perfekt und ich kann mal wieder mein Glück kaum fassen, hier zu sein, ganz allein und mitten in der Natur.


Die kleine Straße ist kaum befahren, zwischen meiner Ankunft am späten Nachmittag und am nächsten Morgen „verirren“ sich in etwa zwei Wohnmobile auf diese Straße (vermutlich auch auf der Suche nach einem Plätzchen für die Nacht), vielleicht zehn Autos und drei große LKWs, die später mitten in der Nacht vorbeidüsen. Anscheinend führt dieses kleine Sträßchen doch irgendwohin … Naja, es kann halt nicht alles perfekt sein 🙂
Morgens bekomme ich sogar noch ein bisschen Gesellschaft, allerdings ist sie von der ganz gefräßigen Sorte und deutlich kecker als die Rentiere … ein kleiner Vogel (Hobby-Ornithologen mögen mir hier weiterhelfen, von genau welcher Sorte) ist erstens sehr an meinen Resten von gestern abend, die noch am Löffel kleben interessiert und dann, stibitzt er auch noch Müsli …



In Finnisch Lappland leben pro Quadratkilometer 1,8 Menschen; zum Vergleich, in Deutschland sind es 237 … So bleibt unglaublich viel Platz für die Natur, für Bäume (Kiefern, Fichten und Birken), halbhohe Büsche und den ganzen Boden bedeckende Pflänzchen, natürlich unzählige Blaubeerbüsche, aber auch Preiselbeeren, Flechten und Gräser – und meine neuen Freunde, die Rentiere… die sind auch nach mehreren Tagen jedes Mal aufs Neue eine drollige Ansicht, wie sie da so gemütlich am Straßenrand stehen oder mitten auf der Straße und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen. Kaum betätigt man aber den elektrischen Fensterheber (um ein besseres Foto zu machen) zucken sie erschreckt zusammen und suchen das Weite … ja klar, keine Angst vor Autos, aber vor einem offenen Fenster… 🙂
Lappland hat viele Nationalparks, ich habe mir Fotos angeschaut, einer schöner als der andere … und mich dann für den Anfang für den Urho Kekkosen Nationalpark entschieden – Urho Kekkonen, so hieß ein Staatspräsident Finnlands (als solcher im Amt von 1956-1981, also sehr lange). Man kann sicherlich auch tagelang durch diesen Park wandern, der im Osten an Russland grenzt, ich entscheide mich aber erstmal für eine sehr gut markierte und etwas kürze Route 🙂 7 km in 2 bis 3 Stunden. Der Weg ist wirklich herrlich, ein kleiner Trampelpfad, in etwas morastigem Gelände Holzdielen, führen durch wunderschöne Natur. Menschen sehe ich zwei (noch ziemlich am Anfang), Rentiere lustigerweise nur drei … ich dachte, wenn schon auf der Straße so viele zu sehen sind, wird es hier inmitten der Natur bestimmt noch ein bisschen zahlreicher, aber anscheinend ist dem nicht so, vielleicht ist das hier auch einfach zu langweilig 😉 Die drei, die ich sehe, sind dann auch richtig scheu und laufen erstmal ein wenig ins Unterholz, um dann dort entspannt weiterzugrasen. So wirklich verschwunden sind sie damit natürlich nicht (die Geweihe sind ja schon recht auffällig) und auch hinter einem Baum verstecken und still stehen bleiben, hilft jetzt irgendwie nicht so viel… ein Rentier versucht es aber trotzdem … ich könnte mich totlachen 😉 steht da, ganz still und guckt mich an, als wollte es wissen, ob es sich jetzt gut versteckt hat … aber ein Rentier hinter einer Birke, das ist halt immer noch nicht zu übersehen …




Zum Schluss „erklimme“ ich noch einen kleinen Berg, hier hat man einen herrlichen Blick über die riesigen Waldflächen und kommt sich wirklich winzig vor. Im Osten gibt es noch einmal ein paar Berge und irgendwo dahinter, nur 60 Kilometer entfernt von meinem aktuellen Standpunkt, ist schon die russische Grenze. Verrückt.


Auf meinem Wanderparkplatz stehen tatsächlich nur Autos (also eher Wohnmobile) mit deutschen Kennzeichen … auch verrückt … da verlässt man schon das Land und dann so was 😉 Ich unterhalte mich nett mit einem Paar aus Aalen, das die letzten Tage nur auf Nebenstraßen unterwegs war und aktuell noch leicht unter der Menge an Fahrzeugen auf der großen E75 leidet… Für mich ist das hier immer noch paradiesisch leer, aber klar, noch leerer geht immer. Vor dem Nordkap, dem Touristenhotspot aller Zeiten hier, scheint es ihnen geradewegs zu grausen, gut, das sie da schon mal waren und nicht nochmal hin „müssen“ 🙂 Klar, ich freue mich jetzt auch nicht direkt auf die Unmengen an Menschen, auf die ich dort treffen werde, aber da ich ja irgendwie auch ein Teil des Problems bin, finde ich, kann ich mich da nur wenig beschweren. Aber ich weiß jetzt auch, dass auch Nebenstraßen hier oben kein Problem sein sollten und bin schon wieder ein bisschen unbeschwerter unterwegs.
Vom Urho Kekkosen Nationalpark sind es nur noch 100 Kilometer bis nach Inari, der letzten größeren Stadt hier im Norden. Hier gibt es nochmal Tankstellen und Supermärkte, dann ist damit erstmal für etwa 130 km in nördlicher und 100 Kilometer in nordwestlicher Richtung Schluss. Inari gilt als Hauptstadt der Samen, das ganz „echte“ Lappland beginnt wohl erst nördlich von hier. In Inari gibt es außerdem noch ein großes Museum der Samen – Kultur und weil es der Reiseführer mir wirklich ans Herz legt, nehme ich das doch nochmal mit.
Das Siida – Museum ist eines der besten Museen, das ich jemals besucht habe. Ich bin total beeindruckt. An den Wänden hängen riesige, und ich meine wirklich riesige!, traumhaft schöne Landschaftsaufnahmen, ich schätze die einzelnen Bilder auf neun mal fünf Meter und das flächendeckend. Dazu spannende Texte und Geschichten, Erzählungen von Samen, unzählige originale Ausstellungsstücke. Selten konnte ich so tief in die Geschichte und Kultur eines fremden Volkstamms eintauchen.
Die Samen sind die „Ureinwohner“ des Nordens, ihre Vorfahren bewohnten schon vor mehr als 10.000 Jahren die eisigen Regionen des Nordens, lebten von Ackerbau, Fischfang und Rentieren. Heute leben noch knapp 70.000 Samen in Finnland, Norwegen, Schweden und Russland; die allermeisten haben ihren Lebensstil der Moderne angepasst und leben nicht mehr als Nomaden von der Rentierzucht. Wie eigentlich alle „Naturvölker“ haben auch die Samen in der Geschichte viel Unrecht erfahren, wurden benachtteiligt und übergangen. Die samische Sprache zum Beispiel wurde bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts stigmatisiert, samischen Kindern in finnischen Schulen verboten, samisch zu sprechen. Erst Ende der 80er, Anfang der 90er Jahren wurden in den skandinavischen Ländern Gesetze zum Schutz und zur Erhaltung der Sprache und Kultur erlassen, in Finnisch-Lappland sind zum Beispiel alle Straßenschilder zweisprachig. Die Samen in Finnland haben mittlerweile ein eigenes Parlament und zumindest gewisse Mitspracherechte auch auf nationaler Ebene.
Zum Siida – Museum gehört auch ein Freilichtmuseum mit originalen Häusern der Samen, außerdem nachgebauten Sommerjurten und – und hier wird’s ein kleines bisschen makaber – in Originalgröße nachgebauten Tierfallen mit Bildern, wie die Tiere dann gefangen wurden. Jetzt darf ich mich als Nicht-Vegetarierin ja da nicht so anstellen, finde ich, aber trotzdem kommt Mitleid mit den Rentieren und auch den Wölfen und Füchsen auf, die hier so detailreich geschildert gefangen wurden. Aber hochspannend und unglaublich anschaulich. Also, wer jemals bis nach Inari kommt, sollte dieses Museum auf jeden Fall besuchen!!!




Auch hier im Museum fehlen nicht ein paar Verhaltensregeln zum vielleicht gefährlichsten Tier des Landes, dem Bär. Immer wieder amüsant (man muss das ja mit Humor nehmen), was so zu beachten ist und da ich noch ziemlich gut in Erinnerung habe, was einem damals so in Kanada geraten wurde, ist das nochmal spannender.
Mein Highlight immer, der „Schluss“, wenn alles nichts mehr hilft und der Bär doch in den Angriffsmodus übergeht. Aus Kanada weiß ich noch, das man sich hinlegen und „toter Mann“ spielen soll. Finnlands Tipps enden hier mit „Hope for the best“ – in Kanada ging man noch einen Schritt weiter – im wirklich ernstesten Fall solle man sich dann doch am Ende noch wehren … ich vermute aber, „auf das beste hoffen“, triffts eigentlich auch ganz gut 😉



Einen weiteren Nationalpark habe ich mir noch rausgesucht, den Kevo Strict Nature Nationalpark. Er liegt westlich von Inari. Durch diesen Park führen zwei Wanderwege, ansonsten ist das Betreten (außer für Samen, die dort ihre Rentierherden haben) absolut tabu – daher der Zusatz „Strict Nature“. Mittig im Nationalpark soll ein riesiger und unglaublich beeindruckender Canyon liegen, den ich leider nicht sehen werde, denn dafür müsste man schon den ganzen Park während einer Mehrtageswanderung von 3 bis 5 Tagen durchwandern und dafür fehlt mir grade noch ein bisschen der Mut (auch, weil mehrere Flüsse durchquert werden müssen und im Park selbst natürlich bis auf ein paar Bretterhütten und Plumpsklos nichts vorhanden ist, ich müsste also wirklich alles mitnehmen). Aber ein paar Stunden Parkluft schnuppern sind drin und alleine die beiden Stunden hin und wieder zwei zurück machen sehr viel Lust auf mehr … hier im Park beginnt jetzt, Mitte August, auch schon der Herbst, die ersten Birkenblätter färben sich bunt und es ist ein wirkliches Naturschauspiel. So wunder-, wunderschön! Der Weg ist (ich muss auch auf diesen ersten 5 oder 6 Kilometern noch keinen Fluss durchqueren) sehr leicht zu finden und zu gehen. Überraschenderweise treffe ich tatsächlich auch einiges an Menschen, alle mit schwerem Gepäck unterwegs und sichtlich froh (da sie vom anderen Ende gestartet sind), das sie nun fast am Ziel ihrer Wanderung sind. Ja, ein bisschen neidisch bin ich schon… aber auch nicht unglücklich, als ich abends wieder auf einem einsamen Parkplatz in Emma krieche und es mir gemütlich mache 🙂



Ich bin mittlerweile tatsächlich schon sehr nah an der norwegischen Grenze und das Nordkap ist auch schon ausgeschildert, aber da will ich noch gar nicht hin. Ich möchte nochmal in den ganz hohen finnischen Norden und dann dort über die Grenze nach Norwegen. Dorthin führt entweder die bekannte E75 oder aber eine kleinere Straße und die wirkt deutlich idyllischer. Sie führt erst ein ganzes langes Stückchen am Inarisee entlang, einem riesigen See, an dem, der Name sagt es schon, auch Inari liegt und dann durch ein Gebiet mit unzähligen kleinen Seen. Was soll ich sagen … es wird eine der wohl schönsten Straßen sein, auf denen ich jemals unterwegs gewesen bin…
Aber bis dahin wartet noch eine idyllische Nacht auf einem kleinen Parkplatz auf mich, heute tatsächlich mit etwas Regen, aber das tut der Gemütlichkeit ja keinen Abbruch … und Emma hat dieses Bad dringend gebraucht 😉 Von all den Schotterpisten ist sie eigentlich durchgehend staubig.
