Es scheint tatsächlich die Sonne. Wahnsinn. Ich Glückskind. Mein Wecker hat mich schon um halb sieben Uhr geweckt, kurz nach sieben sitze ich im Auto … noch 140 Kilometer liegen vor mir, dann werde ich am nördlichsten Punkt des europäischen Festlandes stehen.
Neben dem „offiziellen“ Nordkap, also dem mit riesigem Parkplatz und berühmten Metallglobus gibt es noch das „echte“ Nordkap, das man nur zu Fuss erreichen kann. Freunde hatten mir von einer schönen Wanderung erzählt und auch mein Opa hatte mich nochmal darauf hingewiesen, dass das Nordkap (also das mit dem Globus) eigentlich gar nicht der nördlichste Punkt wäre… vielleicht hätte ich das sonst übersehen. Aber so ist der Beschluss schnell gefasst: ich werde auch ans „echte“ Nordkap wandern.
Weil der kostenlose Wanderparkplatz, von dem aus dieser Wanderweg startet, dafür bekannt ist, schnell sehr gut gefüllt zu sein und die Wanderung sowieso mit 18 Kilometern eher länger ist, will ich möglichst früh dort ankommen – daher der frühe Start aus Olderfjord. Die Fahrt morgens zwischen sieben und acht gehört aber erstmal mit zu den herrlichsten, die ich je gemacht habe. Zum einen ist diese Küstenstraße, die sich immer weiter nördlich windet, einfach atemberaubend schön. Dann diese Sonne und außerdem scheint noch kein Mensch so früh unterwegs zu sein! Ich habe die Straße wirklich fast ausschließlich ganz für mich alleine. Das ist so irre … hier, wo ich mich ein bisschen vor den Touristenmassen gefürchtet habe, bin ich ganz alleine und darf bei herrlichsten Sonnenschein zwischen der Küste mit den vereinzelt verschlafen daliegenden Holzhäuschen und den schroffen Felsen herumkurven.
Hier ein paar Impressionen der Fahrt:



Irgendwann kommt dann der berühmte Nordkap-Tunnel, der das Festland mit der Insel Magerøya, an dessen nördlichster Spitze dann das Nordkap liegt, verbindet. Drei Kilometer geht es bis auf 212 Meter unter das Meer, dann einen Kilometer geradeaus und dann wieder drei Kilometer recht zackig (mit bis zu 10% Steigung) nach oben. Auch jeder Fahrradfahrer und jeder Wanderer, der zum Nordkap fährt oder läuft, muss diesen Tunnel nehmen und ich stelle es mir so gar nicht witzig vor, länger als eine Stunde (im Falle des Wanderers) in einem Tunnel eingesperrt neben den Autos entlang zu laufen. Ich hatte mir fest vorgenommen, das ich, falls ich einen Wanderer sehen sollte, ihm eine Mitfahrgelegenheit zumindest anzubieten, aber so früh ist dann einfach noch niemand unterwegs.
Dann bin ich auf der Insel Mageroya und jetzt ist es wirklich nicht mehr weit. Der Wanderparkplatz ist tatsächlich schon recht voll, manche nutzen diesen als kostenlose Übernachtungsmöglichkeit vor dem Nordkap, weil der Parkplatz dort kostenpflichtig (und nicht günstig) ist. Das ist auch schön und gut, aber eben blöd für alle, die gerne wandern gehen möchten – denn ansonsten sieht es hier mit den Parkmöglichkeiten nicht so rosig aus. Aber für mich (und auch für die nächsten fünf Autos) ist noch Platz, ich koche erstmal Kaffee und stärke mich ein bisschen und dann gehts los. Etappenziel Nummer 1: das „echte“ Nordkap, ausgeschildert als Wanderung „Knivskjellodden“.
Voller Vorfreude und mit Blick in den strahlend blauen Himmel hatte ich heute morgen erstmal eine kurze Hose angezogen, war dann aber beim ersten Foto-Zwischenstop kurz erfroren (13 Grad und Wind!) und hatte dann doch nochmal auf lange Kleidung gewechselt. Zum Nordkap breche ich dann richtig warm angezogen auf: inklusive Mütze und Schal 😉

Der Weg führt gut markiert über diese karge arktische Tundralandschaft, hier sind keine Bäume weit und breit mehr zu sehen, nur direkt am Boden können winzige Blaubeerpflänzchen und ein paar Gräser und Flechten überleben. Selbst wenn man kurz keinen weiteren Steinturm als Markierung entdeckt, die bunten Outdoorjacken, die irgendwo vor einem über das Plateau wuseln, sind Wegweiser genug.


Irgendwann taucht in der Ferne zu rechter Hand ein riesiges Felsplateau auf mit weißer Kuppel und ich weiß, dort ist das offizielle Nordkap, da werde ich heute Abend noch sein. Aber fürs erste folge ich diesem steinigen Pfad hier, der lange eher geradeaus führt, irgendwann an einem kleinen See vorbei und dann einen Hang hinunter, den das letzte Drittel führt ziemlich auf Küstennivau an einer Landzunge entlang. Wie ich so diesen Hang hinunter schaue und mir nichts dabei denke, kommt ein älteres Paar, schon auf dem Rückweg, gerade oben an und mir wird klar, dass dieser Hang auf dem Rückweg recht anstrengend werden könnte.
Sie zu ihm (natürlich auf Deutsch, was denn sonst? 😉 ): „Wir sind doch schon wieder oben, das war doch gar nicht schlimm.“ – Er: „Na, wenn du das sagst…“

Aber noch bin ich nicht auf dem Rückweg und nach unten geht es eigentlich ganz prima 🙂 Langsam bin ich doch ein bisschen k.o., neun Kilometer für eine Strecke klingen eigentlich nach gar nicht viel, aber irgendwie ist dieser steinige Pfad doch auch recht anstrengend. Fast eine Stunde muss ich noch über schräge Felsen laufen, unter mir schon der Ozean, rechts immer noch das beeindruckende Nordkap-Plateau, landschaftlich wunderschön.
Und dann bin ich endlich da, es gibt keinen Trommelwirbel, keine dramatische letzte Biegung, irgendwann steht man einfach an einem (wirklich nicht besonders schönen) Betonklotz, auf den in vielen Sprachen eingraviert ist, das hier der nördlichste Punkt von Europas Festland ist. Es fühlt sich aber trotzdem ziemlich toll an!! Ich stehe nun bei 71° 11′ 08″ nördlicher Breite, 1.400 Meter weiter nördlich als der Metallglobus.


Mittlerweile kurzärmelig, die Sonne im Gesicht, genieße ich eine sehr lange Pause. Brote werden verdrückt, Tee getrunken und einfach nur aufs Meer geguckt… ab hier kommt erstmal sehr lange nix, dann noch Spitzbergen und dann der Nordpol – natürlich jeweils so mit einem Abstand von 1.000 Kilometern dazwischen versteht sich 😉
Ausgeruht starte ich den Rückweg, die ersten zwei Drittel sind auch echt voll in Ordnung, nur im letzten Drittel zieht sich der Weg dann einfach recht lange hin … Auch weil sich landschaftlich gar nicht mehr viel ändert zum Schluss, es geht einfach immer nur weiter… aber endlich sieht man dann doch den Parkplatz und ich lasse mich endlich, nach fast sieben Stunden, in mein Auto fallen 🙂 Man kann den Weg auch in zwei Stunden (also einfache Strecke) laufen, zumindest schreiben das viele auf ihren Blogs und auch dieses Mal haben mich eine ganze Menge Menschen überholt auf der Wanderung – aber ich hab doch eher etwas mehr als zweieinhalb, auf dem Rückweg eher drei Stunden pro Strecke gebraucht. Ist ja auch kein Wettlauf 😉
Ich habe tatsächlich noch überlegt, ob ich nicht besser hier auf dem Parkplatz übernachten soll und morgen einfach zum „offiziellen“ Nordkap laufe, weil ich von Parkgebühren von 30 Euro am Nordkap gelesen habe. Aber vielleicht muss ich einfach in den sauren Apfel beißen, 30 Euro sind zu viel für einen Parkplatz, aber ich werd’s schon überleben und so eine Nacht direkt am Nordkap ist ja auch was besonderes. Außerdem ist heute noch traumhaftes Wetter und morgen soll es sich schon wieder ein kleines bisschen zuziehen – also los!
Schon von weitem sieht man die vielen (und ich meine wirklich vielen!) großen weißen Ungetümer, die ich ja in den vergangenen Tagen ziemlich gemieden habe. Aber der Parkplatz ist riesig, die erste Reihe ist längst voll, das war mir eh klar und ich komme auch mit der hinteren Reihe klar… ich zücke meine Kreditkarte bei der Einfahrt und „erschrecke“ positiv: weil Emma nur ein „normales“ Auto ist und ich nur eine Person, zahlen wir „nur“ 140 Norwegische Kronen, das sind knapp 12 Euro. Ja wenn das nicht mal klasse ist. Für 12 Euro über Nacht am Nordkap stehen, finde ich völlig angemessen.
Emma parkt so in fünfter Reihe zwischen vielen anderen „normalen“ Autos, die dann hoffentlich abends wieder wegfahren und uns ein bisschen mehr Luft geben. Ich schnappe mir meinen Fotoapparat und starte Richtung Ausblick und Globus.
Es sind wirklich viele Leute hier, aber es ist trotzdem wirklich schön! Klar muss man ewig warten, bis man mal ein Foto am Globus machen kann, wo man halbwegs alleine davor steht. Viele springen einmal vor den Globus, machen ein Foto und dann gehts weiter – aber ein paar Leute gibts halt immer, die den Globus eine halbe Ewigkeit belegen und sich in verschiedenste Posen schmeißen 😉 Aber wenn man sich vom Globus wegdreht und ans Geländer lehnt, dann ist da keine Menschenseele mehr, dann ist da nur noch der weite Ozean…

Später schnappe ich mir meinen Campingstuhl, meinen Sturmkocher (neue Errungenschaft und genial), eine Fünf-Minuten-Terrine und mein Buch und setze mich ganz nah ans Geländer. Jetzt hab ich mehr Meerblick als alle großen Camper in erster Reihe zusammen 😉 Klar sind Spaghetti Bolognese im Instant Tomatensaucenpulver jetzt nicht die Krönung, aber es ist recht windig hier, zum Kochen am Auto zu voll und ich hab auch einfach gar keine Lust mehr nach der ganzen Wanderei. Nach 18 Kilometer wandern und am nördlichsten Punkt Europas schmeckt auch eine Fünf-Minuten-Terrine ganz wunderbar 🙂
Gerade als meine Mutter mich per whatsapp fragt, ob ich denn noch ein Plätzchen in erster Reihe gefunden habe und ich mit „nein, natürlich nicht, aber fünfte Reihe ist auch ganz toll“ antworten will, wird doch tatsächlich in der ersten Reihe, die ein bisschen schräg Richtung Wasser guckt, noch ein Platz frei … Und weil die fünfte Reihe auch ganz toll ist, springe ich auf, werfe zumindest die wichtigsten Sachen in meinen Rucksack, laufe zügig zum Auto und parke um 🙂 und kann jetzt antworten „ja, ich habe Meerblick“ 😉

Es wird richtig windig, ich bin wieder zum Outfit heute morgen zurückgekehrt, also dicke Jacke, Mütze, Schal 🙂 Der Sonnenuntergang ist dann gar nicht so fantastisch, weil sich jede Menge Wolken in den Himmel hineingemogelt haben, aber trotzdem irgendwie schön. Außerdem habe ich noch die letzte Köstlichkeit aus der elterlichen Speisekammer hervorgeholt und warm gemacht: eine Flasche Erzgebirgischen Glühwein 🙂 Für genau diesen Moment eingepackt und in genau diesem Moment genossen. Absolut herrlich!! „Enjoy your tea.“ sagt die Familie neben mir, als sie die dampfende Tasse sieht und ich lasse sie mal in dem Glauben 😉

Ich bummle nochmal zum Globus und genieße den wunderschön gefärbten Himmel, bevor ich mich dann doch in die windgeschützte Emma setze (flüchte). Der Parkplatz wird nochmal etwas leerer, zumindest viele der Autos fahren wieder, dafür kommen aber auch um Mitternacht noch neue Wohnmobile an.


Am nächsten Morgen hat der Wind mitnichten nachgelassen, es pfeift ganz schön und macht sogar dem Sturmkocher Probleme! Aber das Gefühl, hier zu stehen, ist schon was Besonderes. Ich wäre heute gerne nochmal in den riesigen Betonklotz hier, das Informationszentrum am Nordkap, hinein spaziert und hätte vielleicht sogar im Café einen Kaffee getrunken und wirklich gerne Postkarten vom Nordkap im nördlichsten Post Office Europas gekauft – aber das kostet tatsächlich 30 Euro Eintritt… und ich frage mich schon, wer auf die Idee gekommen ist, Eintritt zu verlangen, damit man dann in Souvenirläden, Cafés und im Restaurant noch mehr Geld ausgegeben kann … 5 Euro für die Infrastruktur gerne, aber 30??? Klar, da ist auch noch ne Ausstellung dabei, aber die möchte ich gar nicht sehen … Also sorry, dann gibt’s keine Nordkap Postkarten … dann genieße ich mal noch ein bisschen den Blick übers Wasser und fahre dann ganz gemütlich wieder in Richtung Süden…
Kurz denke ich tatsächlich, dass das Wetter fast zu gut gewesen ist – ich habe gar nicht das Gefühl, das ich gerade an einem der nördlichsten Punkte der Welt – definitv dem am einfachsten zu bereisenden war. So ein kleiner Wintereinbruch (nur für zehn Minuten versteht sich) wäre ganz praktisch gewesen 😉 Muss ich vielleicht doch irgendwann mal nach Spitzbergen, Alaska oder Grönland und sehne mich dann dort vermutlich wieder zurück zu Sonne und Wind am Nordkap 😉 Aber keine Sorge, ich fahre trotzdem mit einem breiten Grinsen im Gesicht wieder los und genieße nochmal die unglaublichen Ausblicke auf dem Weg.
Toller Beitrag und wunderbare Bilder , die einen wünschen lassen dabei zu sein.
Liebe Grüße
Sigrid
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