Drei sehr gemütliche Tage in Lakselv bei einer sehr netten und gastfreundlichen Gastgeberin liegen hinter mir. Draußen hat der Regen seinem Namen alle Ehre gemacht, drinnen hab ich es mir gemütlich gemacht, das WLAN ausgenutzt, heiße Duschen und ein super gemütliches Bett genossen 🙂 Meine Gastgeberin hat direkt am ersten Tag angeboten, dass ich auch einen Tag länger bleiben kann, kostet auch nix… (Ich mach das nicht fürs Geld, ich hab einfach gerne Gäste da.) Sowas hab ich dann noch nicht mal in „alten“ Airbnb Zeiten erlebt – denen ich ja schon manchmal etwas nachtrauere, als man zwar nur ein Zimmer, aber dafür immer noch richtig interessante Menschen kennengelernt und gute Gespräche dazu bekommen hat.
Das großzügige Angebot nehme ich nur allzu gerne an und starte sehr ausgeruht dann nach drei Tagen in den Sonnenschein hinein.
Lange hab ich überlegt, was das nächste Ziel sein soll, Norwegen/ Lofoten oder doch nochmal finnische Seen? Da war ich nur so kurz … ein Blick in die Wettervorhersage entscheidet es dann: Lofoten eine Woche Regen vs. Finnland 23 Grad und Sonne 🙂 Also auf nach Finnland.
Ich frage mich gerade ein bisschen, wie ich denn aus den drei gemütlichen Tagen in Lakselv und „noch einmal“ Finnland einen Blogeintrag generieren soll, da passiert ja dann eher nix aufregendes, vielleicht überspringe ich den Teil auch einfach?
Aber dann … kommt doch „zum Glück“ noch etwas Unvorhergesehenes dazwischen …
Ganz so weit bis nach Finnland komme ich gar nicht, denn auf einer der einsamsten Straßen, auf denen ich bisher so unterwegs war, einer Straße die sich gen Norden immer am Grenzfluss zwischen Norwegen und Finnland entlang schlängelt, genau mittig zwischen den beiden einzigen Ortschaften hier (60 Kilometer von Karasjok mit knapp 3.000 Einwohnern und 50 Kilometer zum bereits finnischen Utsjoki mit knapp 2.000 Einwohnern entfernt), hat Emma einen Platten. Und nicht einfach nur einen platten Reifen, sondern einen ganz schön zerfetzten Reifen…
Habe mir das immer (so albtraummäßig) vorgestellt, das es einen lauten Knall gibt, das Auto hin und her schlingert und man leicht die Kontrolle über das Auto verliert … Albtraum halt. In Realität ist es (und dafür bin ich sehr dankbar), äußert unspektakulär. Mit einem Mal werden die Fahrgeräusche extrem laut, so als würde man über ganz viele Bodenschwellen fahren und als ich die Straße und den Wind (warum auch immer) als Übeltäter ausgeschlossen habe, gucke ich mir dann doch mal Emma an… und tatsächlich, der Reifen ist hin.

Ojeojeoje …
Von der offensichtlichen Misere aber mal abgesehen, beschließe ich es eher positiv zu sehen: ich bin auf einer großen (wenn auch einsamen) Straße, nicht in irgendeinem namenlosen Waldstück mit Wurzeln und spitzen Steinen auf dem Weg, von dem jeder vernünftige Mensch vom Befahren abraten würde … Die Sonne scheint (wenn es auch recht windig ist), es ist Montag (und nicht grad ein Sonntag) und es ist erst kurz nach Mittag. Außerdem hab ich hier perfektes Handynetz. Die Chancen stehen also gut, das ich heute noch „gerettet“ werde… und selbst wenn nicht, ich habe schließlich mein „Zelt auf Rädern“ dabei, Wasser, Lebensmittel … alles da.
Die Servicecard meiner Versicherung ist genau da, wo ich sie vermutet habe und bald habe ich einen sehr netten und hilfsbereiten Versicherungsmitarbeiter dran, dem ich versuche zu beschreiben, wo ich bin, Orte in Norwegen und Finnland buchstabiere und Koordinaten durchgebe. Er hat jetzt zumindest einen spannenden Tag, denn von einem so weit nördlich und abgeschieden liegenden Ort hatte er bis jetzt auch noch keinen Anruf erhalten 🙂
An dieser Stelle mal wieder ein Hoch auf all die Vernetzung zwischen den europäischen Staaten und die Technik. Denn das man 200 Kilometer entfernt vom nördlichsten Punkt des europäischen Festlands in der absoluten Pampa und auch Wildnis einfach so die deutsche Versicherung anrufen kann und zwei Stunden später der norwegische Pannendienst vor einem steht und hilft, muss man ja auch hin und wieder würdigen!
Weil Emma tatsächlich einen Ersatzreifen hat (was mir anfangs gar nicht so klar ist, ein Anruf beim Familien-Autoexperten da aber hilft 🙂 ), geht dann alles relativ schnell. Emma ist wieder fahrbereit und ich habe jetzt noch einen „Mitbewohner“ vor dem Beifahrersitz …


Es ist jetzt schon etwas späterer Nachmittag, ich suche mir ein Plätzchen für die Nacht und stöbere mal nach Reifenhändlern in der „Umgebung“, weil ich zumindest für die hintere Achse zwei neue Reifen brauche, tausende Kilometer mit Ersatzrad ist eher keine gute Idee … die Auswahl ist eher mau, aber hier wohnt ja auch fast keiner.
Schön ist es hier aber trotzdem. Ich noch auf norwegischer Seite, Blick auf den großen Fluss und gegenüber Finnland – plus überraschend viele Mücken…

Am nächsten Morgen geht es als erstes nach Utsjoki über die finnische Grenze, dort hat die Werkstatt allerdings geschlossen, also auf nach Ivalo, 170 Kilometer südlich, erst dort gibt es den nächsten Reifenhändler.
Ein bisschen schwer fällt es mir schon nach einer Stunde an der Abzweigung zur kleinen malerischen Straße einfach so vorbei zu fahren … Tschüss Finnische Seenplatte, ich brauche erstmal neue Reifen … und fürchte, das ich wohl mal in einem anderen Jahr wieder kommen muss, ich glaube nicht, dass das so schnell geht jetzt …
In der Werkstatt in Ivalo angekommen, gibt es zwar nette Mitarbeiter, aber keine Ganzjahresreifen … und weil ganz Finnland anscheinend keine Ganzjahresreifen nutzt und die Bestellung vom europäischen Festland zwei Wochen dauern würde (!!) und ich, so gern ich Finnland habe, zwei Wochen doch recht lang finde, beschließe ich mein Glück in Schweden zu versuchen. Hilft ja alles nichts.
Kiruna ist „nur“ 450 Kilometer entfernt und in Schweden stehen die Chancen auf Ganzjahresreifen besser, hoffe ich. Also den Tank nochmal gut gefüllt, die Daumen gedrückt, das so ein Ersatzreifen locker noch weitere 450 Kilometer schafft und los geht’s!
Vielleicht hätte ich ja stutzig werden sollen, das mir die kleine Straße, auf die Google Maps mich jetzt schickt, bisher nie auf der Karte aufgefallen ist … sie ist nämlich sehr klein … Circa 50 Kilometer von Inari entfernt wird mir klar, das ich bisher noch nie – und ich meine wirklich noch nie – so einsam in so großer Abgeschiedenheit unterwegs war… fand ich die 120 Kilometer ohne wirkliches Dorf auf der Straße schon einsam, auf der ich mit Emma liegen geblieben bin, ist das … nun ja … noch einsamer. Nur Wald und ein kleines Sträßchen und nach 90 (!) Kilometern zwei Häuser (mit Ortsschild!). Nächster „Ort“ wieder in 90 Kilometern … oje … und dann, eine Ecke weiter: hört der Asphalt auf und ich befinde mich auf Schotterstraße … für knapp 90 Kilometer … ojeojeojeoje … hoffentlich hält mein Ersatzreifen das aus. Die Straße hier besteht im Wesentlichen aus Schlaglöchern mit ein bisschen Straße dazwischen und ich holpere und stolpere so Stunden lang durch die finnische Einsamkeit. Für die Nerven gibt es Kekse und Kaffee zwischendurch und ansonsten hoffe ich einfach das Beste!

Irgendwann mitten im Nirgendwo beginnt mit einem Mal eine richtig große neu geteerte Schnellstraße mit Mittellinie (!) … irgendwie hab ich das Gefühl, das schlimmste ist geschafft und Emma und ich rollen weiter auf Schweden zu. Mein Plan, es noch bis nach Schweden zu schaffen und dann irgendwo zu übernachten.

Als ich noch circa 200 Kilometer von Kiruna entfernt bin, finde ich ein kleines Plätzchen am Straßenrand, aber hier ist eh nix los und richte mich mal wieder häuslich ein.

Es wird wieder mal richtig bitter kalt (der Winter naht 😉 ), dafür gibts einen klaren Himmel. Schön sieht das aus, ich kann ein paar Sterne gucken, bisher wurde es dafür immer zu spät dunkel oder ich zu früh müde 😉 Gerade als ich ins Bett gehen will, piept mein Handy plötzlich und lässt mich wissen: falls der Himmel klar ist, könnte ich heute eventuell Nordlichter sehen … wow … damit habe ich Ende August noch gar nicht gerechnet – und sowieso hab ich Nordlichter eher immer als vage Möglichkeit gesehen, aber nicht als Must-See …
Noch ist es gar nicht wirklich dunkel…

… und die Nordlichter sollen auch erst, eventuell in einer Stunde zu sehen sein … aber ich bin doch jetzt schon müde … 😉
Ich krieche also erstmal in Schlafsachen und ins Auto und gucke einfach immer mal aus dem Seitenfenster. Nichts, auch eine Stunde später nichts. Na dann eben nicht. Aber einmal verrenke ich mir noch den Kopf und gucke nach oben, bevor ich die Augen zu mache… und bin völlig sprachlos: denn da tanzen über mir die allerschönsten, mit dem bloßen Auge erkennbaren, grünen Lichtschleier der Aurora Borealis. Magisch. Wunderschön.
Ich also wieder raus in die Kälte, hastig alle Sachen übergeworfen, die rum liegen und warm sind, den Campingstuhl mit Decken ausstaffiert und in den Himmel geguckt. Es ist wirklich einfach unbeschreiblich schön. Und lässt einen ganz klein und unbedeutend werden, weil die Natur doch die beeindruckendste Zauberkraft besitzt, die alles andere in den Schatten stellt …
Auch wenn mir die vorher noch hastig gegoogelte Frage: „Polarlichter mit dem Handy fotografieren“ keinen Mut gemacht hat (viele Suchergebnisse, die alle beschreiben, wie man Polarlichter mit der Spiegelreflexkamera macht und ganz zum Schluss mehr oder weniger schreiben, das Handyfotos grauenhaft werden – ja genau dieses Wort wurde genutzt – ), ich versuche es trotzdem und „grauenhaft“ finde ich es jetzt nicht 😉



Und ich finde, komme jetzt was wolle, dieses Naturspektakel entschädigt einfach für alles. Ich hätte nie gedacht, dass man die so klar und wunderschön sehen kann. Als sie ein bisschen schwächer werden, hüpfe ich dann doch mal wieder in meinem Schlafsack, es ist nämlich wirklich unfassbar kalt draußen, mittlerweile nach Mitternacht und ich bin ziemlich hundemüde, aber rundherum überglücklich. Und Reifen grade völlig nebensächlich.