Eine Nacht im Zelt …

Da stehe ich nun, zu Fuss an der norwegisch – schwedischen Grenze … dank Schienenersatzverkehr bin ich gerade auch nicht erst fünf Minuten, sondern schon eher so eine gute halbe Stunde unterwegs. Der Rucksack ist schwer (meine Schultern beschweren sich schon, so was wollten sie doch vorerst nicht mehr machen …), dafür ist der Weg sehr schön zu laufen.

Ich möchte ein 45 Kilometer langes Teilstück des „Rallarvegen“ laufen, dem Bahnarbeiterweg. Dieser wurde beim Bau der Bahn genutzt, mit der ich gestern von Kiruna nach Narvik gefahren bin. Er soll sehr schön und dabei recht einfach zu wandern sein – zwei Punkte, die mich doch sofort überzeugen 😉

Und das allererste Etappenziel – die Grenze – habe ich ja schon mal gut erreicht 🙂 Gut, 1 km von 45 km geschafft …

Hier wollte ich eigentlich starten, am Bahnhof Björnfjell auf der norwegischen Seite … der Bus hat mich allerdings leicht wo anders abgesetzt, an einem großen Parkplatz an der E10 – auf meine Frage, wo denn der Bahnhof wäre, wurde die Richtung grob angezeigt mit den Worten „einfach der kleinen Straße hier folgen“ … na gut…
So sieht es hier aus. Recht karg und schroff, aber nichtsdestotrotz wunderschön

Nachdem ich den kleinen schwedischen Grenzort Riksgränsen hinter mir gelassen habe, wird es richtig idyllisch. Mein Weg wird nochmal schmaler, ein richtiger Trampelpfad jetzt, und führt relativ nah (aber nicht direkt daneben) an den Gleisen entlang. Hin und wieder geht es mal ein kleines bisschen nach unten und dann wieder nach oben, aber das sind immer nur ganz wenige Höhenmeter und wirklich locker zu schaffen. Schwierig ist an dem Weg nix und das ist total schön. Ich kann den Blick in die Ferne, nach links und nach rechts schweifen lassen und muss nicht ständig den Weg vor mir nach fiesen Wurzeln oder komischen Steinen absuchen … es ist herrlich entspannend, das Wetter ist wunderschön und die Gegend ja sowieso. Immer mal wieder plätschert ein kleiner Bach vorbei, Wassermangel herrscht hier also auch nicht. Das ist gut für später, bis abends sollte ich gut mit meinen Wasservorräten klar kommen, dann brauche ich aber etwas Nachschub.

Blick ins Tal noch auf Höhe von Riksgränsen
Der Weg, sehr idyllisch
Hin und wieder auch mal ein richtiger Fluss mit Wasserfall

Klar, mein Rucksack könnte leichter sein (also vom Gefühl her, unnötiges Zeugs habe ich dieses Mal wirklich nicht dabei), aber das ist auch wirklich das allereinzigste Problem. Hin und wieder (aber wirklich nur selten) treffe ich sogar mal einen Menschen 😉 Hin und wieder höre ich auch die E10, die Fernstraße zwischen Kiruna und Narvik, gegen Nachmittag rückt sie ein bisschen näher, aber richtig viel befahren ist sie auch nicht. Und wenn es gar zu still wird, dann fährt gleich als Nächstes ein Güterzug des Eisenerzbergwerkes neben mir lang und hupt unfassbar laut (immer vor den Tunneln und davon gibts halt hier einige). Noch unschöner ist es nur, als der Zug mal neben mir zum Stehen kommt und das Quietschen der Bremsen wirklich recht unerträglich ist … aber davon abgesehen, ist das hier ein absolutes Träumchen. Ich komme zwar nicht ganz so schnell voran, wie gedacht, aber irgendwie müsste ich die 18 bis 20 Kilometer heute schon noch schaffen. 45 Kilometer fand ich an zwei Tagen absolut machbar, hatte mich aber schon ein bisschen gefragt, warum alle Reiseführer immer von einer Tour für drei Tage sprachen 😉 Ich glaube, langsam wird es mir klar, aber da ich morgen früher starten kann als heute (der erste Bus fuhr erst um 11 Uhr in Narvik los und war erst kurz nach halb eins an der norwegisch – schwedischen Grenze), sollte die Strecke schon zu schaffen sein.

Der Weg ist – sagte ich das schon? – ein absolutes Träumchen und ich entdecke immer wieder schönes am Wegesrand.

Dieses Rot … schon so herbstlich und sooo schön!
Noch so ein schöner Fliegenpilz!
Und häufig ein richtig toller Blick aufs Wasser

Eigentlich hab ich nur ein bisschen Angst vor der Nacht, besser gesagt, vor der Kälte… mittlerweile kühlt es hier nachts auf sechs bis acht Grad ab und obwohl mein Schlafsack eine Komforttemperatur von -1 Grad verspricht, bin ich so eine Frostnase, das ich in Emma zumindest immer noch eine dicke Decke drüber lege … die konnte ich allerdings hier nicht mitnehmen, habe aber beschlossen, wenn ich einfach mit allen Klamotten in den Schlafsack schlüpfe, sollte das funktionieren 😉 mal schauen …

Gegen späten Nachmittag wird der Weg ein bisschen schwieriger zu gehen, das Gras zu beiden Seiten des Trampelpfades ist jetzt einfach ziemlich hoch und der Weg, zumindest aus der Ferne, nur schwierig zu erkennen, aber noch passt das alles ganz gut. Nur einen richtig schönen Platz zum schlafen hab ich noch nicht entdecken können … anfangs gab es auch mal zwei kleine Schutzhütten, die an drei Seiten geschlossen und an einer offen waren, aber da sind, zumindest heute, keine mehr zu erwarten. Noch ein bisschen kann ich weiterlaufen, aber eine Stunde vor Sonnenuntergang wollte ich eigentlich irgendwo ankommen, schließlich muss ich ja auch noch mein Zelt aufbauen (wovor es mir auch noch etwas graut, bisher hab ich mich da immer recht … nun ja … nicht allzu clever angestellt 😉 ).

Mittlerweile wird auch manche Stelle ein ganz klein wenig abenteuerlich… die Holzbohlen müssten vielleicht auch mal wieder erneuert werden …

Die Holzbohlenbrücken werden langsam etwas maroder …

Es ist kurz nach sieben, als ich beschließe, das sich auf dem nächsten Kilometer mein perfekter Platz für die Nacht befinden müsste 😉 Die Sonne geht schon in einer guten Stunde unter (das geht hier jetzt richtig schnell … aber klar, wenn bis Ende Juli Mitternachtssonne herrschte und Mitte/ Ende September schon wieder Tag- und Nachtgleiche ist, dann merkt man das deutlich jeden Tag) und meine Füsse und Schultern haben auch keine große Lust mehr. Aber immerhin habe ich knapp 20 Kilometer geschafft.

Kurz noch ein kleiner Adrenalinkick, bis jetzt war der Wald ja recht ausgestorben, aber hier sind anscheinend auch größere Tiere unterwegs … so ganz genau kann ich es nicht erkennen, was ich da aufgeschreckt habe, aber es sieht nach Pferden aus … gibt es wilde Pferde in Schwedens Wäldern? Für Wildschweine sind sie zu groß (puh!), für Elche zu dick 😉 glaube ich zumindest … der Gedanke an wilde Pferde ist besser als die Alternativen 😉

Dann sehe ich einen kleinen See mitten im Wald und denke, perfekt … und als ich zwei Minuten später direkt daneben noch eine kleine Schutzhütte entdecke, kann ich mein Glück eigentlich nicht fassen, die war nämlich gar nicht auf der Karte eingezeichnet. Das Zelt lasse ich also eingepackt, die Hütte sollte genug Schutz bieten.

Für heute Nacht ist das mein See und mein Berg 🙂 ganz schön idyllisch!

Schlafsack und Isomatte werden ausgepackt, Wasser aus einem naheliegenden Bach geholt und die Zutaten fürs Abendessen auf der Bank, die so schön an die Hütte gebaut wurde, ausgebreitet.

Isomatte und Schlafsack sind schon an Ort und Stelle. Gemütlich, oder?
Schon mal alles fürs Abendessen ausgepackt, es gibt: Nudeln, die nur drei Minuten kochen müssten und Instant-Tomatensuppe 🙂 habe natürlich den Sturmkocher dabei, weil was Warmes brauche ich schon aktuell.

So eine Bank neben der Hütte ist schon was Feines. Man muss sich nicht direkt auf die Erde setzen (bin ja auch keine 20 mehr 😉 ), sondern hat Bank mit Lehne! 🙂 Wärmer ist es auch noch …

Noch eine Schicht mehr angezogen 😉 und das warme Essen genossen

Es wird kalt, sobald die Sonne untergegangen ist, aber mit drei, vier Schichten Kleidung und Tee ist das eigentlich ziemlich gut auszuhalten. Es ist herrlich, so mitten im Nirgendwo zu sitzen und zu gucken, wie es so um mich herum dunkel wird. Die ersten Sterne tauchen auf und kurz nach elf (ich bin hundemüde) auch noch ein bisschen Polarlicht, allerdings wieder zu schwach für das bloße Auge…

Übrigens, besonders ab vom Schuss bin ich gar nicht – nur 100 Meter weiter auf der einen Seite sind die Gleise, 100 Meter auf der anderen Seite die E10, die aber zum Glück nachts ziemlich still und verlassen liegt. Handyempfang habe ich auch, also im eventuellen Notfall bin ich sehr nah dran an der Zivilisation … so als kleines Sicherheitsnetz sozusagen.

Und dann geht’s „ins Bett“, naja… so in etwa zumindest … Warum ich geglaubt habe, das so eine Schutzhütte auch vor der Kälte schützt, weiß ich nicht 😉 Es ist bitterkalt … Ich habe einfach alle Jacken anbehalten und bin so in den Schlafsack gekrochen und wenn ich still auf dem Rücken liege, geht es auch gut 😉 alles warm, sogar die Füsse, und vom Gesicht guckt dank tief ins Gesicht gezogener Mütze eh nicht mehr viel raus… dummerweise kann ich auf dem Rücken echt nicht gut schlafen und sobald ich auf der Seite liege, wird es doch ein kleines bisschen frisch … (nicht kalt, aber halt auch nicht mehr gemütlich warm). Na das kann ja lustig werden … Quasi als Gutenachtgruss kommt auch noch mal ein Zug an und hupt … das ist so nah von der rechten Seite, das ich mich kurz frage, ob ich gleich umgefahren werde 😉 Kurzer Check: nee, ich liege in einer Hütte und nicht auf den Schienen, alles gut 🙂

Sechs Stunden später würde ich mein Wild-Camping-Erlebnis jetzt eher nicht als vollen Erfolg bezeichnen 😉 dafür hab ich einfach fast gar nicht geschlafen, es war doch in Summe ein bisschen kühl … aber schlimm wars auch nicht, ich lag einfach nur lange wach rum … aber wie immer war es schon gut, dass ich selbst auf so eine Idee gekommen bin 😉

Tag 1 vorbei, Tag 2 kann kommen … Blick morgens auf den See vor „meiner“ Hütte

Tag 2 beginnt also schon sehr früh, um sieben ist alles wieder im Rucksack verstaut, ich habe eine Kleinigkeit gegessen und eine große Tasse Kaffee intus … als munter und wach würde ich meinen Zustand jetzt nicht bezeichnen, aber für 25 Kilometer wird es heute schon reichen 😉

Der Weg wird – und das ist eher ungünstig – nicht besser … Wurde es gestern abend schon etwas wilder, ist der Weg nun völlig zugewuchert … wer auch immer den Auftrag hat, dieses Stück des Weges instandzuhalten, macht seinen Job recht unterirdisch. Leider. Das Gras wuchert über den gesamten Pfad; Holzbohlen, die über kleine Gräben oder Bächlein führen (sollten), sind völlig verfault und kaputt. Hier ist nix mehr mit Blick in die Ferne schweifen lassen, ich muss eher jeden einzelnen Schritt genau setzen. Manchmal kommt ein kleiner Graben mit einer morschen Holzbohle drüber, beides verschwindet aber völlig im Wildwuchs des Grases, sodass man Holzbohle und auch Graben erst „sieht“, als man quasi den Fuss schon aufsetzen will… nicht so schön… Meine Füsse sind nach kurzer Zeit einmal völlig nass, denn auch die Holzbohlen, die über die nasseren und schlammigen Stellen des Weges führen sollen, gibt es nur noch im Ansatz… einmal verschwindet mein Bein bis weit über den Knöchel … und nein, weder die Sonne, noch die Wärme haben sich bis jetzt blicken lassen …

Eine der guten Brücke: fast vollständig intakt und dass das Wasser nicht nur drunter, sondern auch drüber fließt, stört wirklich keinen großen Geist 😉

Ich fass es mal so zusammen: das erste Drittel des heutigen Weges ist recht fürchertlich, nach drei Stunden habe ich gerademal acht Kilometer geschafft und einzig die Hoffnung, das es bald besser werden müsste, lässt mich nicht allzu sehr verzweifeln … Relativ bald müsste mein Weg auf den Europäischen Fernwanderweg E1 treffen, ich hoffe sehr, das dort jemand mit mehr Motivation den Weg instand hält 😉

Irgendwann habe ich es geschafft. Füsse nass und kalt, aber immerhin ansonsten nix verstaucht, Laune eher so mittel … so erreiche ich den E1 und hier wird es wirklich sofort besser, sogar die Sonne hat sich aufgerafft 😉 Der Weg ist wieder gut, das hohe Gras schön links und rechts, aber nicht mitten über den Weg. Holzbohlen tragen einen wieder und fallen nicht unter mir in sich zusammen. Ich mache eine sehr lange Mittagspause und döse ein wenig unter Birken und kann die letzten verbleibenden zehn Kilometer doch wieder genießen. Jetzt geht es im Wesentlichen durch lichte Wälder, auch sehr schön, aber das erste Stück mit der Weite und der Sicht bleibt nach wie vor das Allerschönste.

Auch der zweite Tag neigt sich dem Ende zu, aber der Weg ist jetzt wieder einfach zu laufen und die Sicht schön.

Abends, kurz nach sieben (ich bin seit zwölf Stunden unterwegs!) komme ich endlich in Abikso an, dem Wander- und Outdoor Hotspot hier weit und breit. Hier beginnt, beziehungsweise endet auch der Kungsleden, dieser Fernwanderweg, sodass hier eigentlich immer jede Menge los ist.

Hier durchläuft man den Kungsleden quasi in einer Minute…

Ich statte dem kleinen Supermarkt mit riesiger Süßigkeitentheke noch einen Besuch ab und verziehe mich dann auf mein (alleiniges) Hostelzimmer. Gut, ein bisschen mehr Ruhe wäre schön, meine Nachbarn sind ganz schön lustig und laut, aber es ist warm und trocken 😉

Also dann: Gute Nacht!

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